Und dann kam Rei

„Ich wünschte, das Drehbuch wäre von mir gewesen.“ Das war mein erster Gedanke, nachdem ich die japanische Serie „The House of Glass" gesehen habe. Sie handelt von einem alleinerziehenden Vater und seinen zwei erwachsenen Söhnen, die auf dem ersten Blick ein harmonisches und friedliches Leben führen. Der frühe Tod der Mutter bei einem Flugzeugabsturz hat die Familie zusammengeschweißt. Ihre Beziehung zueinander ist durch Vertrauen und Respekt geprägt.
Das ändert sich, als der Vater die knapp zehn Jahre jüngere Rei heiratet, deren Eltern auf die gleiche Weise umkamen wie seine Frau. Rei ist hübsch, kommunikativ, freut sich über ihre neue Familie und bringt einen neuen Touch hinein – etwas Fröhliches, Feminines, was den strengen Regeln des Haushalts ganz gut tut … würde man meinen, doch das Gegenteil ist der Fall. Nach einigen Monaten des Zusammenlebens zeigen sich die ersten Risse. Der ältere Sohn Hitoshi fühlt sich zunehmend zu Rei hingezogen, während die Eifersucht seines Vaters immer bedrohlicher wächst.
Diese Wendung allein wäre noch nicht der Rede wert. Interessant ist vielmehr, dass erst durch Reis Erscheinen deutlich wird, wieviele Unstimmigkeiten und Konflikte schon vorher in der Familie schlummerten. Hitoshi ging 30 Jahre den Weg, den sein Vater ihm vorgab ohne ihn anzuzweifeln. Er stellt jedoch fest, dass nicht nur ihre politischen Ansichten und beruflichen Ziele immer mehr voneinander abweichen, sondern dass er sich noch nie Gedanken über andere Optionen gemacht hat. Seine Liebe zu Rei und das unberechenbare und korrupte Verhalten seines Vaters sind nur der Auslöser dafür, dass Hitoshi sein Leben und seine Ziele neu definiert und den Mut fasst, sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Seine innere Zerrissenheit zwischen Schuldgefühlen und Loyalität einerseits und seinem Rebellionsdrang andererseits wird von Japans beliebtem Darsteller Takumi Saitoh sehr überzeugend gespielt.
Auch sein jüngerer Bruder Kenji, der sich bisher immer auf die Seite des Vaters schlug, muss sich eingestehen, dass sein Vater Herrschsucht und Kontrollzwang mit Liebe verwechselt. Dies begreift er erst, als er sich selbst in Hitoshis Ex verliebt – eine erfolgreiche Schriftstellerin, die dieses tragische Familiendrama zu einem Roman verarbeitet mit dem Titel „The House of Glass“ und damit einen Bestseller landet. Wen wundert’s – es ist ein starkes Drehbuch, das ich wie gesagt gern selbst geschrieben hätte.