Spannende Familien- und Zeitgeschichte

Der Roman „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ erstreckt sich über vier Generationen. Glücklicherweise hat Alena Schröder das Ensemble bis in die Nebenfiguren so gut charakterisiert, dass man sich trotz der Zeitsprünge gleich in die verschiedenen Erzählfäden hineinfindet.
Die Geschichte kommt ins Rollen, als Hannah, die regelmäßig ihre Großmutter Evelyn in einem Seniorenheim besucht, einen Brief von einer Anwaltskanzlei entdeckt. Evelyn wird als Erbin von Nazi-Raubkunst benannt, weigert sich jedoch, Hannah mehr davon zu erzählen. So geht Hannah der Sache selbst auf den Grund und sucht Hinweise auf den verschollenen Kunstschatz und auf jüdische Vorfahren – für sie eine willkommene Ablenkung von ihrer Doktorarbeit, in der sie ganz und gar nicht vorankommt.
Als Leser ist man ihr ein Stück voraus, denn parallel werden wir in das Schicksal von ihrer Urgroßmutter Senta eingeweiht. Nach einer gescheiterten Ehe, muss sie 1926 die dreijährige Evelyn ihrer Schwägerin überlassen und zieht nach Berlin.
Frauenromane über mehrere Generationen gibt es viele, doch dieser hat mich besonders bewegt. Sentas Bemühungen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und gleichzeitig eine Bindung zu ihrer Tochter aufzubauen, haben sich ebenso eingeprägt wie Hannahs Versuch, sich von einer destruktiven emotionalen Abhängigkeit von ihrem Doktorvater zu lösen und ihren eigenen Weg zu finden. Die Schicksale der durchweg glaubwürdigen Charaktere sind mit interessanten Themen wie Kunstraub und Restitution, Ahnenforschung und Wissenschaftsbetrieb verwoben.