Außergewöhnliche Geschwisterliebe

Wenn Eltern sich mit voller Hingabe lieben, sollte das doch auch für die Kinder ein Segen sein. In „Das Buch der Schwestern“ von Amélie Nothomb trifft das aber leider nicht zu, denn für die Kinder bleibt kein Platz mehr – weder in ihrem Herzen noch in ihrem Leben. Darunter leidet besonders die Erstgeborene Tristane. Die Autorin beschreibt in knappen Sätzen und doch sehr eindringlich, wie ausgeschlossen und überflüssig sie sich in ihrer Familie fühlt.
Da hat es ihre jüngere Schwester Laetitia etwas besser. Die Zuneigung, die die Eltern den Töchtern vorenthalten, bekommt sie in geballter Form von Tristane und erwidert sie auch. Diese romantische Schwesternliebe, die skurrile Ausmaße annimmt, hat mich ebenso fasziniert wie die unterschiedliche Entwicklung und Charaktere der zwei. Während die temperamentvolle Laetitia genau weiß, was sie will – nämlich Rockstar werden – und zielstrebig ihren Weg geht, lässt sich die hochintelligente Tristane von den Meinungen anderer leicht verunsichern und leidet unter ihrer mangelnden Ausstrahlung. Manchmal bekommt die stark überspitzte Geschichte märchenhafte Züge, doch die kalte Gleichgültigkeit der Eltern und die Auswirkungen holen einen schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es war mein erstes Buch von Amélie Nothomb und sicher nicht das letzte.