Elizabeth Strout in Bestform

Die Figuren aus Elizabeth Strouts Romanen sind mir so ans Herz gewachsen, dass ich sehnsüchtig auf ein neues Buch von ihr gewartet habe. In „Tell me Everything“ steht Bob Burgess, ein Anwalt und enger Freund von Lucy, im Mittelpunkt. Während der Corona-Pandemie pflegten sie ausgedehnte Spaziergänge zu machen, was sie nun wöchentlich fortsetzen.
Die beiden haben eine besondere Gabe, nämlich anderen Menschen zuzuhören. Lucy kommt diese Fähigkeit auch beruflich zugute, denn von den Geschichten, die ihr die legendäre Strout-Figur Olive Knitteridge erzählt, kann sie sich als Schriftstellerin inspirieren lassen. Bei Bob liegt die Sache etwas anders. Er hört sich nicht nur die Probleme und Fehltritte seiner Mitmenschen an, sondern absorbiert sie förmlich und wird zum „sin-eater“.
Er übernimmt die Verteidigung eines Mordverdächtigen, doch diese Handlung ist eher ein Nebenschauplatz. Es geht vielmehr um die Geschichten, die die Figuren in diesem Roman miteinander austauschen oder selbst erleben und die Frage aufwerfen, was das Leben ausmacht. Es geht um Einsamkeit, Liebe, Schuld und was die Menschen verbindet. Mit welcher Intensität, Warmherzigkeit und Melancholie Elizabeth Strout von Schicksalen einfacher Menschen und kleinen, aber bedeutsamen Gesten erzählt, ist einfach fantastisch.