Mutter und Tochter begegnen sich neu

Der Schauplatz spielt in den Romanen von Kristine Bilkau eine wichtige Rolle, so auch diesmal, wie der Titel “Halbinsel“ verrät. Die 25-jährige Linn, die für ein Aufforstungsprojekt arbeitet, bricht bei einem Vortrag auf einer Umwelttagung zusammen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie eine Weile bei ihrer Mutter Annett auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer verbringt, um wieder auf die Beine zu kommen. Problematisch wird es erst, als Linn jeglichen Antrieb verliert und sich dauerhaft bei ihr einnistet. Annett erkennt ihre Tochter, die voller Tatendrang und Idealismus in die Welt gezogen ist, nicht wieder.
Die Autorin hat ein sehr passendes Setting gewählt, um die Komplexität einer Mutter-Tochter-Beziehung in all ihren Facetten einzufangen. Erzählt wird aus der Perspektive der Mutter, doch ich konnte mich in beide Generationen hineinfühlen: auf der einen Seite Annett, die versucht hat, ihre Tochter bestmöglich für die Welt auszurüsten, aber auch zu beschützen, voller Fürsorge und Hoffnung; auf der anderen Seite Linn, die angesichts des Betrugs am Klimaschutz und permanenten Leistungsdrucks in eine Sinnkrise fällt. Beide haben den plötzlichen Tod des Vaters noch nicht verarbeitet. Wie die beiden während eines Sommers sich und ihre Heimat neu kennenlernen, erzählt Kristine Bilkau wie schon in ihren vergangenen Romanen subtil und eindringlich. Es freut mich, dass sie für ihren hervorragenden Roman den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat.