Vergebliche Suche nach dem Familienglück

Treffender könnte der Titel des Romans "Die Frauen des Lazarus" von Marina Stepnowa nicht sein. Obwohl der geniale Physiker Lazarus Lindt und sein wissenschaftlicher Durchbruch genügend Stoff für eine Geschichte bieten würden, spielt er hier eher eine untergeordnete Rolle. Umso lebendiger werden die drei Frauen gezeichnet, die einen besonderen Bezug zu Lindt und seinem Aufstieg als gefeierten Wissenschaftler hatten.
Einer der spannendsten Momente war für mich die Begegnung zwischen dem bettelarmen Physiker und dem renommierten Professor Tschaldonow, der ihn in seinem Haus aufnimmt und ihm eine Stelle an der Fakultät für Physik und Mathematik verschafft. Unglücklicherweise verliebt sich Lindt in dessen gütige Frau Marusja. Seine Gefühle bleiben jedoch unerwidert. Nach Marusjas Tod verliebt er sich erneut, diesmal in Galina, die nicht gegensätzlicher sein könnte: selbstverliebt, geltungsbewusst und angsteinflößend. Galina profitiert von Lindts Aufstieg zum Jahrhundertgenie, entwickelt sich zu einer angesehenen Madame und legt sich einen Hofstaat zu. Doch auch in dieser Beziehung bleibt Lindt das ersehnte Liebesglück verwehrt. Im Gegenteil: Galina ekelt sich sowohl vor ihrem Mann als auch vor dem gemeinsamen Sohn Borik. Hier zeigt die Autorin ihre humorvolle Seite und spricht von einer Lindtophobie. Ich hatte Mitleid mit beiden Männern, besonders mit Lindt, der sich nichts sehnlicher wünscht, als eine glückliche Ehe zu führen wie seine Zieheltern. "Seine Genialität reicht nicht bis zu den simplen Gesetzen des alltäglichen menschlichen Lebens" heißt es an einer Stelle treffend.
Am Ende tritt endlich eine Frau zum Vorschein, die sich für Lindts Leben interessiert, allerdings erst nach seinem Tod. Es ist seine Enkelin Lidotschka, die sich zunächst vor ihrer unnahbaren Großmutter in ihre Bücher flüchtet und später das Familienglück findet, das sich Lindt so sehr gewünscht hatte.
Marina Stepnowa erzählt in bildhafter Sprache eine sehr bewegende Familiensaga und lässt dabei viele interessante geschichtliche Hintergründe über das Leben in Russland im 20. Jahrhundert einfließen.