Ungenutztes Potenzial

Die Eigenschaft „hochsensibel“ hätte ich bis vor einiger Zeit noch mit „emotional überempfindlich“ gleichgesetzt. Erst durch den Film „Die anonymen Romantiker“, den ich Euch im Januar vorstellte, erfuhr ich, was sich tatsächlich hinter dem Begriff verbirgt. Hochsensible empfinden äußere Reize wie Geräusche, Gerüche, Geschmäcker, Licht, Farben und Berührungen intensiver und reagieren stärker darauf. Umso interessanter war es für mich, das Thema zu vertiefen und zwar anhand des Buchs „Hochsensibel“ von Eliane Reichardt. Sie lebt in Nottuln bei Münster und gibt auch Seminare zu dem Thema.
Zu Beginn schildert die Autorin, wie sie das Persönlichkeitsmerkmal bei sich selbst feststellte, wie sie damit umging und Nutzen daraus zog. Ihr Rückblick auf den Wandel unseres Alltags seit Mitte des 20. Jahrhunderts und die explodierende Reizüberflutung, macht deutlich, warum das Thema auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Aufmerksamkeit gewinnt. Immerhin 15% der Menschheit sind davon betroffen.
Laut Eliane Reichardt ist es wichtig, das „Anderssein“ zu erkennen, anzunehmen und als Potenzial zu nutzen. Daher enthält der erste Teil einen umfangreichen Selbsttest, dessen Ergebnis mich überraschte, da sehr viele Eigenschaften auch auf mich zutrafen: Hochsensible sind geborene Sinnsucher, eher Generalisten als Spezialisten, mögen kein Smalltalk, haben einen neugierigen Geist, einen stark ausgeprägten Freiheitsdrang, großes Interesse für spirituelle Themen und ein Bedürfnis nach Sicherheit, Ordnung und Struktur. Nur die individuelle Intensität und Ausprägung dieser und vieler anderer Merkmale kann sehr verschieden sein, was die Autorin durch Grafiken veranschaulicht.
Sie ist der Ansicht, dass Hochsensible keine Therapie benötigen, sondern eine Anleitung zu einer für sie passenden Lebensführung und genau die bietet sie in diesem Buch in leicht umsetzbarer Form. Sie gibt zahlreiche Anregungen, wie man in alltäglichen Situationen, sei es im Supermarkt, in der U-Bahn, in Meetings oder auf Parties, mit Stressquellen umgehen, hilfreiche Tricks anwenden und sich Erleichterung verschaffen kann. Das Sachbuch ist sehr gut aufgebaut und bietet eine gelungene Balance zwischen Begriffserklärungen, wissenschaftlichem Hintergrundwissen, praktischen Anleitungen und persönlichen Erfahrungen.