Talentloser Aufsteiger

Von einem Entwicklungsroman bin ich es gewohnt, dass der Protagonist sich charakterlich verändert und am Ende nicht der Gleiche ist wie am Anfang. Auf den Helden des französischen Literaturklassikers "Bel Ami" von Maupassant trifft das nicht gerade zu. Georges Duroy verfolgt von Anfang an das Ziel, in die oberste Liga der elitären Gesellschaft zu gelangen, räumt alle Hindernisse aus dem Weg und erreicht sein Ziel ohne jegliche Sanktionen.
Solch eine Geschichte könnte sich jederzeit und überall abspielen. Eine Stadt, die Ende des 20. Jahrhunderts die besten Voraussetzungen für ehrgeizige Aufsteiger bot, war Paris. Kürzlich hatte ich durch die – sage und schreibe – vierzehnte Verfilmung von "Bel Ami" aus dem Jahr 2012 das Vergnügen, in die damalige Zeit einzutauchen, in der für viele Emporkömmlinge der schnelle Aufstieg und das große Geld zum Greifen nahe erschien. Duroy wählte die für ihn als Charmeur am erfolgsversprechendste Methode: Er verführte die Ehefrauen der mächtigen Gentlemen. Interessant wird die Geschichte, wenn diese Frauen so unterschiedlich sind wie Madeleine Forestier, Clotilde de Marille und Madame Rousset, gespielt von Uma Thurman, Christina Ricci und Kristin Scott Thomas. Rob Pattinson, der in die Rolle des Schwerenöters schlüpfte, sagte in einem Interview, dass die Schauspielerinnen derart unterschiedlich waren, dass er sich bei jedem Dreh komplett neu orientieren musste.
Auch wenn die Story nicht sehr einfallsreich umgesetzt wurde, verfolgt man mit einer gewissen Faszination, wie ein mittelloser Mann ohne Talent allein durch seine Verführungskünste an die Spitze der Gesellschaft gelangt. Ein Augenschmaus sind die opulenten Kostüme und das authentische Setting wie die Arbeitsatmosphäre bei der Zeitung "La Vie Française", der Blumenstand auf einem Pariser Boulevard oder das Treiben in einer Kneipe, wo man meint, in jedem Augenblick könnte Toulouse-Lautrec um die Ecke auftauchen. Im Vergleich zu der Romanfigur, die von Lebensgier und Wunsch nach Anerkennung getrieben wird, bleibt die Filmfigur bis zum Schluss recht farblos.