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Die Baumeister der Welt

2016-09-29
Paris
Die Baumeister der Welt

Stefan Zweig hat die Gabe, Biografien so lebendig zu schreiben, als seien es epische Romane. Auch seine Essays „Drei Meister: Balzac, Dickens, Dostojewski“ lesen sich so spannend wie seine fiktiven Geschichten „Unruhe des Herzens“ oder „Rausch der Verwandlung“. Dabei gibt er nicht nur interessante Einblicke in das literarische Schaffen der drei großen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, die zu seinen großen Vorbildern zählen, sondern ergründet dabei auch die Psychologie der Romanciers. 

Besonders interessierten mich seine Ausführungen über Balzac, der zweifellos zu meinen Favoriten zählt und mir während des Studiums etliche spannende Lektürestunden beschert hat. Ich habe viel von ihm, aber bisher nichts über ihn gelesen. Umso neugieriger war ich zu erfahren, welche Motivation den französischen Dichter antrieb – oder sollte ich besser sagen, welche Persönlichkeit? Es war Napoleon, der ihm in seinem Schaffensprozess als Vorbild diente. So wie Napoleon mit seinem Schwert auf Eroberungszug ging, versuchte Balzac mit seiner Feder gierig die ganze Weltfülle aufzusaugen. Sein Ehrgeiz bestand darin, die Vielfalt des Lebens in ein anschauliches, übersichtliches System zu bringen. So entstand die Comédie Humaine mit unzähligen Figuren, die jeden Menschentypen abdecken. Balzac machte Paris zum Zentrum und Frankreich zum Umkreis der Welt, zog dabei mehrere Zirkel, die verschiedenste gesellschaftliche Schichten wie den Adel, die Geistlichen, die Arbeiter, die Dichter und Gelehrten einschlossen. Darin liegt auch für mich die Faszination seiner Romane: die Charaktere hängen an der Illusion des Lebens, sei es Geld, Macht, Liebe, Kunst oder Freundschaft und werden von unersättlichem Ehrgeiz und Besessenheit getrieben bis sie schließlich tief fallen.

Weit entfernt vom napoleonischen Temperament sind die Helden in Dickens Werken. Laut Zweig sind sie bescheiden, mit dem Mittelmaß zufrieden und doch voller Sinnlichkeit und Lebendigkeit. Glück bedeutet für sie, ein beschauliches, sittsames Leben zu führen, Geborgenheit in einer Familie zu finden und die Kleinigkeiten im Leben zu schätzen. 

Damit haben sie auch sehr wenig gemein mit den Helden Dostojewskis. Diese suchen keineswegs das Mittelmaß, sondern – ganz im Gegenteil – die gegensätzlichen Pole des Lebens in ihren stärksten und berauschendsten Formen. Zweig erläutert, dass Dostojewski den Abgrund und die Tiefe des Lebens liebte und in seinen Romanen das Dämonische des Zufalls und die innere Zerrissenheit der Figuren thematisierte. Richtig leben hieß für ihn, beide Gegensätze des Lebens, das Gute und das Schlechte intensiv auszuleben. 

Bei Zweig bewundere ich immer wieder das unerschöpfliche Repertoire seines Vokabulars und seine Fabulierkunst, ganz gleich ob er Emotionen beschreibt oder philosophische Themen erörtert. In jedem kleinsten Nebensatz stecken Kraft und Passion, die einen mitreißen. Hinzu kommt, wie belesen dieser Schriftsteller ist. Wie schafft er es bloß, nicht nur die umfangreichen Werke dieser drei Dichter zu lesen, sondern sie auch noch so genau zu analysieren und darüber Bücher zu schreiben? Ich werde jedenfalls noch eine ganze Weile damit beschäftigt sein, aus seiner Sammlung „Die Baumeister der Welt“ weitere Essays von ihm über Tolstoi, Stendhal, Nietzsche etc. zu lesen. 

 
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