Vendetta im Outback

Mit extravaganten Kleidern kann man so mancher Frau den Kopf verdrehen. Das beherrscht auch Myrtle "Tilly" Dunnage, Protagonistin in dem Film "The Dressmaker – Die Schneiderin" von Jocelyn Moorhouse. Allerdings tut sie dies aus reiner Berechnung. Nachdem sie für die exklusivsten Modehäuser in Europa gearbeitet hat, kehrt sie 26 Jahre später als feine Dame in ihre australische Heimatstadt Dungatar zurück. Die Dorfgemeinschaft reagiert alles andere als begeistert, denn Tilly wurde damals als Mörderin ihres Mitschülers aus dem Ort verjagt. Tilly will nun das Unrecht, das ihr angetan wurde, aufklären und nistet sich mit ihrer Nähmaschine bei ihrer Mutter "Mad" Molly ein.
Ein selbstgeschneidertes Kleid gegen eine Information aus der Vergangenheit lautet der Deal, und so "ernäht" Tilly sich nach und nach die Gunst der Dorfbewohnerinnen. Die Entzückung ist groß, denn sie schafft es tatsächlich, den biederen Frauen durch prachtvolle Roben und Hüte Glanz und Glamour zu verleihen. Sogar Sergeant Farrat mit seiner Schwäche für Frauenkleider ist Tillis Nähkünsten verfallen. Sie braucht nur mit einer schwarzen Federboa vor seiner Nase zu wedeln und schon rückt er eine wichtige Akte zu dem damalige Fall heraus.
"The Dressmaker" basiert auf dem gleichnamigen australischen Bestseller von Rosalie Halm und ist ein sehr ausgefallener Genremix, den ich in der Form noch nie gesehen habe. Elemente aus Western, Märchen, Drama, Film Noir, Mystery-Thriller und Kammerstück finden sich darin wieder. So wird man an den typischen Auftakt von Western, Saloonszenen oder den Film "High Noon" erinnert, wenn Tilly ihren Rachefeldzug antritt. Zur Einstimmung fliegen den Dorfbewohnern statt Revolverkugeln Golfbälle um die Ohren. Kate Winslet spielt die Rolle der reizbetonten und selbstbestimmten Grandezza großartig. Mit ihrer scharfzüngigen Mutter liefert sie sich witzige Wortgefechte, während es zwischen ihr und ihrem einstigen Klassenkameraden und Adonis Teddy gewaltig knistert. Das übrige Ensemble besteht aus grotesk überzeichneten Karikaturen, die meisterhaft spießbürgerliches Denken und ländliche Engstirnigkeit verkörpern und dem Film etwas Surreales verleihen.
Der eigenwillige Erzählstil ist gewöhnungsbedürftig – einen gradlinigen Plot darf man hier nicht erwarten. Der Film lässt sich Zeit damit, die Fassade bröckeln zu lassen und Schicht für Schicht diverse Lügen und Geheimnisse offenzulegen. Nähere Aufmerksamkeit verdienen vor allem die Details und Symbole – und natürlich das Setting, das in den 1950ern angesetzt ist, und durch starke Bildkompositionen die ideale Kulisse für das skurrile Dorfleben und die rundum schräge und wendungsreiche Dramedy bildet.