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Eisiges Naturschauspiel

2017-02-18
Kugluktuk
Eisiges Naturschauspiel

„Ich habe gelernt, jederzeit eine Einladung annehmen zu können, wenn das für mich heißt, dass ich reisen kann.“ Diese Abenteuerbereitschaft ihrer Freundin gefiel der amerikanischen Schriftstellerin Kathleen Winter, so dass sie ebenfalls für alle Fälle einen kleinen Koffer packte und in ihren Wandschrank verstaute. Damals ahnte sie noch nicht, dass dieser Fall schon in Kürze eintreten sollte: Sie wird eingeladen, auf einem russischen Eisbrecher eine Reise durch die Nordwestpassage zu unternehmen, die sie in ihrem Buch „Eisgesang“ schildert. 

Schon der Einstieg der Geschichte ist sehr gelungen: Kathleen, Ende 40, trifft ihre Jugendfreundinnen wieder. Sie liegen auf einem Steg und erinnern sich an die Zeit zurück, als die Zukunft verheißungsvoll und die Welt für sie noch voller Möglichkeiten war. Nun, 30 Jahre später, hat Kathleen eine unglückliche Ehe und ein Familienleben hinter sich, das sie als eher „uninspiriert“ erlebte. Unverändert geblieben ist ihre Sehnsucht nach dem Unvorhergesehenen. Daher zögert sie nicht lange und nimmt das Angebot ihres Berufskollegen, an seiner Stelle zu reisen, an. 

Das Schiff folgt der Route Roald Amundsens bei seiner ersten Überquerung der Nordwestpassage von Kanada nach Grönland mit dem Endziel Kugluktuk. Unter der Crew befinden sich Forscher, Geologen, Touristen und jene, die persönliche Tragödien verarbeiten wollen. Kathleen sucht zunächst eher Abstand von der Gruppe. Statt sich in Lehrvorträgen Fakten und Zahlen über die Fjorde anzuhören, möchte sie die Landschaft und die Begegnung mit den Ureinwohnern  live erleben und auf sich wirken lassen. 

Das Naturerlebnis, das ich mir überwältigend vorstelle, beschreibt Kathleen fesselnd und bildgewaltig. Sie macht das Land im wahrsten Sinne des Wortes lebendig, indem sie es mit einem Reisegefährten vergleicht, der über einen Körper und eine Sprache verfügt. In der sich ständig verändernden Eislandschaft erkennt sie ihre eigene Veränderung während der Reise wieder. Je tiefer sie in die „Existenz einer arktischen Majestät“ eindringt, desto mehr wird ihre bisherige Wahrnehmung und ihr Denken außer Kraft gesetzt. Dazu gehört auch, dass sich ihre ursprüngliche Vorfreude und Neugier zunehmend in das unbehagliche Gefühl verwandeln, unbefugt in ein fremdes Territorium einzudringen. Auch der krasse Gegensatz zwischen dem Komfort auf dem Schiff und der Unerbittlichkeit des Meeres macht ihr bewusst, dass die Geborgenheit reine Illusion ist. Ich kann jedem nur empfehlen, Kathleen Winter auf dieser einzigartigen Reise sowohl in die Arktis als auch in ihre Seelenlandschaft  zu begleiten.

 
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