Boshaft und skrupellos

Wer Probleme mit dem Älterwerden hat, sollte nicht unbedingt zu dem neuen Buch „Stone Mattress“ („Die steinerne Matratze“) von Margaret Atwood greifen. In neun Kurzgeschichten zeichnet die kanadische Autorin ein ziemlich abstoßendes Bild dessen, was uns mit fortschreitendem Alter erwarten kann. Wie schonungslos sie dabei vorgeht, zeigt eine Geschichte, die in einem luxuriösen Seniorenheim spielt. Die langsam erblindende Wilma ist kaum in der Lage, auch nur irgendetwas ohne Hilfe zu bewerkstelligen. Sie lebt in ständiger Angst, in der Dusche auszurutschen, vereinbart Termine zum Zehennägel-Schneiden und hat ständig seltsame Halluzinationen. Von Tobias lässt sie sich erzählen, welche Dramen sich draußen abspielen: Verkleidete Demonstranten blockieren den Eingang und rufen „Fackelt die Alten ab“, so auch der Titel dieser Erzählung. Es sei Zeit, dass die Alten den Mittelalten ihren Platz überlassen.
Auch die übrigen Charaktere haben mit dem stetigen Abbau ihres Körpers und der jüngeren Generation, von der sie verdrängt werden, zu kämpfen. Statt zu resignieren oder in Selbstmitleid zu baden, entwickeln sie jedoch ungeahnte Energien und Fantasien, um mal stolz, mal boshaft, ihren Platz in der Welt zu behaupten. Constance zum Beispiel hat einen Fantasykosmos namens Alphinland erschaffen, wo sie mit ihrem verstorbenen Ehemann Ewan weiterlebt. Irena war klug genug, einen Vertrag mit ihrem Geliebten und Autor eines erfolgreichen Horrorklassikers abzuschließen, der sie zur Millionärin macht. Und Verna, die auf einer Arktisreise Bob wiedertrifft, der sie einst nach einem Highschool-Ball vergewaltigte, tüftelt einen perfiden Plan aus, um Rache zu üben.
Während der Lektüre läuft es einem immer wieder kalt den Rücken runter – und das liegt nicht am eisigen Ambiente dieser „wicked tales“, wie die Autorin ihre Geschichten genannt hat, sondern vielmehr an der morbiden und dystopischen Zukunftsvision, die Atwood in Edgar Allan Poe-Manier vor unseren Augen entfaltet.