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Das Märchen Worpswede

2017-04-01
Worpswede
Das Märchen Worpswede

Klaus Modick entwirft eine interessante Dramaturgie, um die Beziehung zwischen dem Künstler Heinrich Vogeler und dem Dichter Rainer Maria Rilke zu schildern. Ausgangspunkt für seinen fiktiven Roman „Konzert ohne Dichter“, der auf Rilkes Tagebücher und Vogelers Lebenserinnerungen beruht, ist das Gemälde ‚Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff‘, wofür Heinrich Vogeler fünf Jahre brauchte und 1905 die ‚Große Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft‘ erhielt. Das begeisterte Publikum sah darin die Idylle der Künstlerkolonie Worpswede. Hätten sie genau hingesehen, wäre ihnen aufgefallen, dass zwischen den Malerinnen Paula Modersohn-Becker und Clara Rilke-Westhoff eine Lücke klafft. An dieser Stelle war ursprünglich Rilke vorgesehen, wurde jedoch von Vogeler in der finalen Version entfernt – eine Tat, die sehr viel über die Verfremdung zwischen den Seelenverwandten aussagt. 

In Rückblicken erfährt der Leser, wie Vogeler und Rilke sich in einer Trattoria in Florenz kennenlernten. Ihre Kunst ähnelte sich insofern, dass sowohl Rilkes Sprache als auch Vogelers Malerei etwas „üppig Ornamentales, wuchernd Florales“ hatten. Im Gegensatz zu Rilke schaffte Vogeler jedoch sehr schnell den Durchbruch zu einem der erfolgreichsten Künstler. Er lockte viele Maler nach Worpswede, wo er ein Haus kaufte, es ‚Barkenhoff‘ taufte und einen regelrechten Schaffensrausch erlebte. Ich war überrascht, was für ein Tausendsassa er war. Für ein neues Domizil des Multimillionärs Heymel in der Leopoldstraße entwarf er Tafelsilber, Tischleuchter, Spiegel, Porzellan, Möbel, Gläser, Schmuck, sogar Türklinken und Garderobenhaken. Er avancierte zu einem gefragten Illustrator und Buchgestalter und entwarf sogar Sammelbilder für Stollwerck-Schokolade. Glücklich war Vogeler jedoch nicht. Auf der Höhe seines frühen Erfolgs erschien ihm seine Kunst flach und schal – Ausdruck einer Romantik, die vor der Gegenwart und den Konflikten floh und Schönheit und Idylle vorgaukelte, was dem Publikum anscheinend gefiel. 

Dabei gab es sie tatsächlich für kurze Zeit: die Idylle in Worpswede. Vogeler erinnert sich an die unvergessliche Stimmung eines Sommers, in der Harmonie, Liebe, Freundschaft, und Lebenslust das Schaffen der Künstlerkolonie prägten – bis 1900 Rilke kam. Seine Taktik, Menschen emotional an sich zu binden und dann von anderen zu isolieren, sowie seine Einstellung, dass alles in einem höheren Auftrag geschehen müsse, zerstörte jegliche Lebensfreude. Nahestehende wie seine eigene Familie waren für ihn wie Gäste, die nicht gehen wollten. Mit solchen Sprüchen verdarb er es sich endgültig mit Vogeler. Die Sprache von Klaus Modick ist so satt und üppig wie die Kunst Vogelers, sein Ton oft spöttisch und sarkastisch. Sein Roman gibt einen sehr interessanten und unterhaltsamen Einblick, wie eine Künstlerfreundschaft in die Brüche ging sowie das teils freizügige, teils dekadente Leben der Bohémiens und Adligen zu der Zeit.

 
Kunst, Zeitreise