Verhinderte Studie

Gibt es ein Projekt, das Ihr ewig vor Euch herschiebt? Dann geht es Euch wie dem Ich-Erzähler in „Out of sheer rage“ („Aus schierer Wut“) von Geoff Dyer. Vor Jahren beschloss er, eine Studie über den amerikanischen Schriftsteller D.H. Lawrence, sein großes Vorbild und Schöpfer der „Lady Chatterley“ zu schreiben, doch bisher ist es bei der Absicht geblieben.
Dabei mangelt es nicht an den nötigen Vorbereitungen: Er hat Lawrence’ Geburtsstadt Eastwood besucht, jede Menge Biografien gelesen, Fotografien gesammelt und sich Notizen gemacht. Doch selbstkritisch stellt er fest, dass ‚sich Notizen machen’ gleichzusetzen ist mit Aufschieben. Auch an Ausreden mangelt es dem Erzähler nicht. Ein Grund, warum er noch nicht mit der Studie anfangen konnte, war eine Romanidee. Er war drauf und dran, die Studie hinzuschmeißen und sich auf den Roman zu stürzen – bis er merkte, dass die beiden Projekte derart in Konflikt gerieten, dass er besser beide Vorhaben aufgab.
Seine Unentschlossenheit betrifft nicht nur sein Schreiben, sondern so ziemlich alle Lebensbereiche. Das fängt schon mit seinem Wohnort an. Von Paris – einem denkbar ungeeigneten Ort für sein Projekt, da Lawrence die Stadt überhaupt nicht mochte – zieht er nach Rom in das Apartment seiner Freundin Laura. Dort ist es im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt, um zu arbeiten. Eine Einladung von Freunden auf die griechische Insel Alonissos müsste doch die ideale Lösung sein. Dort hat er alle Zeit der Welt, verfällt jedoch in eine völlige Lethargie.
Er reist an die verschiedenen Lebensorte von D.H. Lawrence, darunter Sizilien, New Mexico und Amerika, amüsiert sich über Land und Leute, findet allerdings nirgendwo den idealen Ort, um mit der Studie zu beginnen. Nicht einmal ein Zimmer in Montepulciano mit Aussicht auf die toskanische Landschaft würde sich seiner Meinung nach eignen, da man dort nur den Ausblick genießen würde, aber keinesfalls zum Schreiben käme. Seine ständig sich wiederholenden Gedanken rund um die Unmöglichkeit, zur Tat zu schreiten, betonen nur noch die Tatsache, dass er sich im Kreis dreht und keinen Schritt vorwärts kommt. Das, was der Erzähler am besten beherrscht ist, etwas nicht zu tun, sei es lesen, schreiben oder Tennis spielen. Dafür, dass Geoff Dyer sich immer wieder erfolgreich vor der Arbeit drückt, ist doch – wenn auch keine akademische Studie über D.H. Lawrence – ein origineller und schwarzhumoriger Reisebericht herausgekommen, mit dem sich so manch Kreativer, der schon mal in einer Schaffenskrise steckte, garantiert identifizieren kann.
Die abgebildete Tür führt übrigens zum Apartment Romeo del Babuino, das wir während eines Aufenthalts in Rom einmal gemietet haben und sehr zu empfehlen ist.