Reminiszenzen einer Trauernden

Bücher, in denen es um Literatur, Kunst und Kreativität geht, begeistern mich immer wieder. „Wem erzähle ich das“ von Ali Smith passt zwar in diese Kategorie, ist allerdings alles andere als leicht zu lesen. Eine Handlung gibt es nicht – vielmehr tauchen wir in einen Dialog ein, den die Ich-Erzählerin mit ihrer verstorbenen Geliebten führt. Diese ist zwar physikalisch nicht mehr präsent, hat jedoch als Kunst- und Literaturwissenschaftlerin in Form von Büchern und Vorlesungsmaterialien sichtbare Spuren in ihrer gemeinsamen Wohnung hinterlassen, die Gegenstand der Reflexionen werden. Man hat den Eindruck, die Erzählerin wolle damit ihre Geliebte wieder zum Leben erwecken – was ihr in gewisser Weise gelingt, denn so langsam nimmt die verstorbene Kunst- und Literaturwissenschaftlerin auch vor den Augen des Lesers Gestalt an.
Ich gebe zu, die Lektüre hat mich Zeit und Kraft gekostet, weil ich viele Sätze und Passagen mehrmals lesen musste, um sie zu verstehen. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Autorin ist mir ein Stück voraus oder denkt so unkonventionell, dass ich ihren Gedankengängen nicht ganz folgen kann. Dann wieder gab es Stellen, die ich sehr gut nachvollziehen konnte, zum Beispiel die Feststellung, dass Bücher „sich erneuern, wenn wir andere werden und sie zu verschiedenen Zeiten unseres Lebens lesen“. Wie oft war ich erstaunt, dass mich ein Buch, mit dem ich bei der ersten Lektüre nichts anfangen konnte, zu einem späteren Zeitpunkt plötzlich ansprach und berührte, weil ich mich zwischenzeitlich verändert hatte. Andere Überlegungen der Autorin brachten mich zum Schmunzeln, zum Beispiel dass man ein Buch erfinden müsste, in dem steht, was gerade im dem Moment passiert, in dem man es liest.
Sie analysiert Themen wie Zeit, Form, Ränder, Kanten oder Spiegelung, nimmt die Begriffe wörtlich auseinander und umkreist unter dem Aspekt die Bedeutung von Poesie, Romanen und Filmen. Um dies zu veranschaulichen zitiert sie aus Werken von verschiedensten Autoren wie Charles Dickens, E. M. Forster, Margaret Atwood oder Paul Eluard. Manchmal dachte ich, ich hätte das Buch wegen der vielen Wortspiele in der Originalversion lesen sollen. Man könnte das erste Wort des Buchtitels „Wem“ auch ergänzen durch „Warum“, „Wann“ und „Wie“ und würde eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wie Ali Smith die Kunst des Erzählens wie mit einem Prisma in seine Bestandteile zerlegt. So richtig konnte mich der Inhalt jedoch nicht überzeugen.