YukBook.me

Stories & Design

Verpasste Chancen und verlorene Identitäten

2017-10-01
New York
Verpasste Chancen und verlorene Identitäten

„The Middlesteins“ war ein tolles Buch, „St. Mazie“ noch ein Tick besser. Jetzt hätte der dritte Roman, den ich von Jamie Attenberg gelesen habe, eine weitere Steigerung sein können, ist er aber leider nicht. Trotzdem habe ich den Kauf von "All Grown Up" nicht bereut, weil ich den unverwechselbaren Schreibstil, Witz und die Beobachtungsgabe der amerikanischen Autorin zu schätzen gelernt habe. 

Worum geht’s? Die Ich-Erzählerin Andrea fühlt sich mit 39 Jahren immer noch orientierungslos. Obwohl die Figur im ganzen Roman nicht sehr sympathisch herüberkommt, konnte ich mich doch gleich in der Anfangsszene gut in sie hineinversetzen. Sie macht jeden Tag eine Zeichnung vom Empire State Building, den sie aus ihrem Fenster sieht, und hofft auf eine kreative Eingebung, wie sie von ihrem langweiligen Job als Grafikdesignerin loskommen und zur Malerei zurückfinden kann.

Sicher werden die Meinungen über das Buch gespalten sein. Die einen sehen darin nur deprimierende Gedanken einer einsamen Single-Frau über ihr gescheitertes Leben. Andere erkennen in der Protagonistin typische Merkmale einer ganzen Frauengeneration. Andrea möchte kein konventionelles Leben führen und bekommt immer wieder zu spüren, dass sie nicht in die Welt hineinpasst. Alle Menschen in ihrem Umkreis bauen ein neues Leben auf, heiraten, bekommen Kinder. Sie ziehen weg und lassen sie zurück, so wie ihre Mutter, die sich um Andreas todkranke Nichte in New Hampshire kümmern möchte. Andrea kann sich nicht einmal überwinden, ihre beste Freundin Indigo zu besuchen, weil sie genau weiß, sobald sie deren Neugeborenes im Arm hält, ist es mit der Freundschaft vorbei. 

Dabei ist gar nichts verkehrt mit Andreas Leben – außer, dass es seit geraumer Zeit exakt gleich ist. Statt damit zufrieden zu sein, kann sie nicht umhin, sich mit ihren Freundinnen und Kolleginnen zu vergleichen, um dann über ihre eigene Vergangenheit zu reflektieren. Sie erinnert sich an die Zeit, als sie in ihr New Yorker Apartment zog mit dem Ziel, Malerin zu werden, und versucht nachzuvollziehen, wie sie sich in ihre jetzige Lage manövriert hat. Auch wenn der Grundton melancholisch ist, gibt es auch einige amüsante Szenen, zum Beispiel als Andrea von einer Schauspielerin, die in ihr Haus zieht, besessen ist und ihr nachstellt. Jeder, der sich immer wieder Gedanken darüber macht, was er aus seinem Leben machen möchte, wird sich in diesem Buch sicher wiederfinden.

 
Selbstfindung