Luxusresort im Ausnahmezustand

Ein Ort, wo ich ganz sicher keinen Urlaub verbringen möchte, ist die „Villa Metaphora“, Schauplatz des gleichnamigen Romans von Andrea de Carlo. Und das, obwohl es sich um ein Luxusresort auf der sizilianischen Insel Tari handelt. Protagonist und Stararchitekt Gianluca Perusato kann nach einer siebenjährigen nervenaufreibenden Bauphase endlich die Pforten öffnen. Klar, dass sich nicht Hinz und Kunz, sondern nur eine höchst elitäre Gesellschaft dort einfindet, zum Beispiel Hollywood-Diva Lynn Shaw mit Ehemann oder der schwerreiche Münchner Banker Dr. Reitt. Einen krassen Gegensatz dazu bildet das Hotelpersonal wie Perusatos taresische Assistentin Lucia, der eingebildete spanische Koch Ramirez oder der Möbelschreiner und Asket Paolo.
In jedem Kapitel steht eine andere Figur im Fokus. Dabei gelingt dem Autor der Perspektivwechsel sowohl fachlich als auch sprachlich meisterhaft. Die Journalistin Simone Poulanc, die blitzschnell die Schwachpunkte hinter der perfekten Fassade erkennt und Klischees und Haltungen entlarvt, könnte fast de Carlos Sprachrohr sein. Perusato hatte mit der Villa Metaphora die Vision, eine wilde Insel zu bändigen und dort eine Stätte für hochkultivierte, menschliche Begegnungen zu schaffen. Er hat die Rechnung jedoch ohne die Gäste und ihre Neurosen gemacht. Ein Paparazzi, der heimlich Aufnahmen von der Schauspielerin macht und auf der Flucht tödlich verunglückt, löst eine Kettenreaktion in unbeschreiblichem Maße aus. Andrea de Carlo lässt die exzentrischen Figuren in diesem Mikrokosmos aufeinander los, treibt ihre Befindlichkeiten ins Extreme, lässt sie zur Höchstform auflaufen, bis sie sich gegenseitig in den Abgrund reißen. Umso erstaunter war ich über die Resilienz der Hauptfigur. Hegte Perusato angesichts der Katastrophen kurz zuvor noch Selbstmordgedanken, genügt ein kleiner Hoffnungsschimmer, um mit einem Mal wieder Vertrauen und Zuversicht zu gewinnen.
Ich bin ein großer Fan des italienischen Schriftstellers und seinen gesellschaftskritischen Romanen. „Villa Metaphora“ übertrifft allerdings in seinem Zynismus und Sarkasmus alles, was ich bisher von ihm gelesen habe. Es ist ein Rundumschlag gegen menschliche Schwächen wie Dummheit, Eitelkeit und Habgier, gegen die italienische Politik, den Sensationsjournalismus, den Starkult, die Umweltverschmutzung, das italienische Fernsehen, den auf Nervenkitzel ausgelegten Tourismus, die sozialen Netzwerke… Auch wie de Carlo die Naturgewalt als weiteren unberechenbaren Faktor auftrumpfen lässt, verleiht der ganzen Geschichte etwas tief Existenzielles, fast Elegisches. Er will die Menschheit wachrütteln, einen Gesinnungswandel, eine Läuterung, ein Reset herbeiführen. Für die einen mag das alles zu viel und zu stereotyp sein, was er auf über 1.000 Seiten ausbreitet – ich habe mich auf jeder Eskalationsstufe sehr amüsiert und jeden Satz wie Ramirez’ Gourmethäppchen ausgekostet.