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Verhängnisvolle Bibliomanie

2017-08-27
Montevideo
Verhängnisvolle Bibliomanie

Büchernarren aufgepasst: Auch wenn die Versuchung groß ist, solltet Ihr ein frisch ergattertes Buch erst zu Hause lesen. Sonst ergeht es Euch wie Bluma Lennon in der Erzählung „Das Papierhaus“ von Carlos María Domínguez. Gleich im ersten Satz wird die traurige Nachricht verkündet, dass besagte Bluma in einer Buchhandlung in Soho ein Gedichtband von Emily Dickinson kaufte und an der nächsten Straßenecke, als sie beim zweiten Gedicht angelangt war, von einem Auto überfahren wurde. Dieser Anfang hätte einen Platz in dem Buch „Der schönste erste Satz“ verdient. Man kann gar nicht anders als weiterzulesen, besonders wenn der nächste Satz lautet „Bücher verändern das Schicksal der Menschen“. Wer war diese Bluma Lennon und was hat es mit dem Gedichtband auf sich?

Dabei geht es in der Geschichte um etwas ganz anderes, nämlich das Buch „Die Schattenlinie“ von Joseph Conrad, das dem Kollegen und Liebhaber der verstorbenen Literaturprofessorin in die Hände fällt. Dieser ist äußerst verwirrt, denn das Buch ist nicht nur mit Zementresten verschmutzt, sondern enthält auch eine Widmung von Bluma an einen Carlos Brauer. Der Ich-Erzähler will der Sache auf den Grund gehen, macht die Adresse des Absenders ausfindig und reist von Cambridge über Buenos Aires nach Uruguay, um den Unbekannten aufzuspüren.

Die Suche gestaltet sich allerdings schwierig, denn Brauer scheint verschollen zu sein. Bei der Suche trifft der Erzähler auf allerlei verrückte Gestalten, allesamt bibliophil wie Agustin Delgado, der sich eine Bibliothek mit 18.000 Büchern aufgebaut hat und viel Aufwand betreibt, um seine Bestände zu hegen und zu pflegen. Ihm liegt zum Beispiel viel daran, Werke von zerstrittenen Autoren im Regal nicht nebeneinander zu stellen. Welch abstruser Gedanke! Passionierte Leser werden noch so manch andere skurrile Anregungen finden, zum Beispiel Bücher aus dem 19. Jahrhundert bei Kerzenlicht zu lesen. Oder Werke mit der passenden musikalischen Untermalung zu kombinieren, zum Beispiel Baudelaire mit Debussy oder Goethe mit Wagner.

Den Gipfel bildet schließlich die letzte Station, die Lagune von Rocha, die eine Erklärung des Buchtitels liefert. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Die Handlung ist ziemlich zäh, doch hat mich das Buch auch zum Schmunzeln und Nachdenken gebracht. Der Autor beleuchtet die Bibliomanie aus verschiedenen Winkeln, beschreibt die Freude, Bücherschränke von Bekannten zu inspizieren, den Aufwand, seine eigene Bibliothek in Schuss zu halten, aber auch die zerstörerische Seite, wenn die Lesesucht und Sammelwut zur Obsession wird.

 
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