Machtkampf zwischen Mentor und Protegé

Eine Stadt, die mich als Reiseziel schon länger reizt, ist Marseille. Da trifft es sich gut, dass die erste europäische Eigenproduktion von Netflix genau dort spielt. Da kann ich mir gleich einen ersten Eindruck verschaffen von der französischen Hafenstadt, die 2013 Kulturhauptstadt war und auch heute noch ein zwielichtiges Image hat.
Altverteran Gérard Depardieu spielt in der achtteiligen Polit-Serie "Marseille" den Bürgermeister Robert Taro, der alle Wege geebnet hat, um seinen politischen Ziehsohn Lucas Barrès zu seinem Nachfolger zu machen. Als dieser ihm bei der Abstimmung um den Bau eines Casinos auf dem Hafengelände unerwartet in den Rücken fällt, muss Taro fassungslos feststellen, dass er sich gründlich in ihm getäuscht hat. Nachforschungen ergeben, dass Barrès keineswegs der ist, für den er sich ausgibt. Der Bürgermeister, dem die Zukunft von Marseille mehr bedeutet als alles andere, sieht sich gezwungen, sich bei der bevorstehenden Kommunalwahl erneut aufzustellen und gegen ihn anzutreten. So beginnt ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen, bei der auf der einen Seite Taros Tochter als Unterstützerin der Wahlkampagne, auf der anderen Seite die örtliche Mafia ordentlich mitmischt.
Bei Licht betrachtet ist das Ensemble bis auf Taro nicht sonderlich sympathisch – am meisten nervt das Selbstmitleid von Taros kränklicher Ehefrau – und doch treibt die Neugier, was die Figuren noch zu verbergen haben und zu welchen drastischen Mitteln sie greifen, den Zuschauer von Folge zu Folge weiter, zumal der Bürgermeister selbst offenbar ein dunkles Geheimnis mit sich trägt.
Wenn auch oberflächlich lernt man die verschiedenen Gesichter von Marseille kennen mit seinem ansehnlichen Hafen, modernen Bauten wie das Fußballstadtion Vélodrome und den Sozialbausiedlungen in der Cité Félix-Pyat. Nach dem spannenden Cliffhanger bin ich sehr gespannt auf die zweite Staffel und natürlich darauf, mir die Schauplätze eines Tages live anzusehen.