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"Was soll nur aus dir werden?"

2018-02-26
Königsberg
"Was soll nur aus dir werden?"

In dem Buch „Schriftstellerinnen“, das ich Euch kürzlich vorstellte, habe ich eine Autorin vermisst: Fanny Lewald, eine der berühmtesten und erfolgreichsten deutschen Autorinnen des neunzehnten Jahrhunderts. Durch Zufall stieß ich auf ihren Roman „Meine Lebensgeschichte“ aus dem Jahr 1861. Diese Biografie beschreibt nicht nur ein Stück spannende Emanzipationsgeschichte, sondern auch wie eine Frau zu ihrer Berufung fand.

Der erste Teil handelt von ihrer Kindheit in Königsberg und schildert Verhältnisse, die wir uns heute kaum vorstellen können: Sie lebt mit acht Geschwistern, die schon in frühen Jahren lernen, vielzählige Arbeiten selbst zu erledigen wie Obsttrockenen, Einkochen, Wurstherstellung, Putz- und Näharbeiten. So pflichtbewusst Fanny die Haushaltsarbeiten auch erledigt, lebt sie erst richtig auf, als sie in die Schule eintritt. Sie muss sich zwar zum ersten Mal die Anerkennung anderer hart erarbeiten, doch schnell sind ihr Ehrgeiz und ihr Bildungshunger geweckt. Schon bald steht ihr Entschluss fest, dass sie „wie ein Mann studieren“ will.

Was mir besonders an der Biografie gefällt, ist, dass Fanny Lewald nicht nur Ereignisse und Erlebnisse chronologisch aneinanderreiht. Vielmehr reflektiert sie rückblickend ihr Verhalten und stellt heraus, welche Erkenntnisse in den jeweiligen Lebensphasen besonders lehrreich für sie waren. In ihrem 15. Lebensjahr stellt sie zum Beispiel fest, dass auch Kinder gegenüber ihren Eltern Rechte haben, und beschließt für sich, niemals jemanden gegen ihren Willen zu heiraten wie ihre Tante. Auch das schwierige Verhältnis zu ihren Eltern, die sie bedingungslos liebt, hat mich berührt. Von ihrer Mutter, die mit Fannys intellektueller Überlegenheit nicht umzugehen weiß, fühlt sie sich unverstanden. Gegenüber ihrem Vater ist sie hin- und hergerissen zwischen absolutem Gehorsam und dem Drang, sich von seiner Kontrolle loszulösen.

Ein weiteres einschneidendes Erlebnis war sicher die erste Reise, die sie mit ihrem Vater nach Berlin und Baden-Baden unternahm. Besonders nach der Begegnung mit weiblichen Bühnenkünstlerinnen sehnt sie sich immer mehr nach Freiheit und Selbstständigkeit. Der quälenden Frage „Was soll aus dir werden?“, die seit ihrer Jugend auf sie lastet, kann sie mit 34 Jahren endlich etwas entgegensetzen: Sie findet Freude am Schreiben und beginnt, Zeitungsartikel zu schreiben und ihre ersten Romane zu verfassen.

Ich bewundere die Autorin, die jeden kleinsten Winkel ihrer Gedanken, ihrer Seele und ihres Herzens offenlegt. Ihr Leben stellt sie als permanenten Lernprozess dar, der sicher nicht nur den Leserinnen ihrer Zeit Mut machte. Auch heute kann man von ihrem Lebensmut und ihrem Willen, auf eigenen Füßen zu stehen und authentisch zu leben, noch sehr viel lernen.

 
Biografie, Schreiben, Zeitreise