Raus aus Stroodle und Tracebook

Es ist Liebe auf den ersten Blick, als Richard Westermann, Hauptfigur des Romans "Westermann und Fräulein Gabriele" auf einer Beerdigung Olympia begegnet. Allerdings handelt sich nicht um ein weibliches Wesen, in das sich der Vorstand eines IT-Konzerns verguckt hat, sondern um die Schreibmaschine des verstorbenen berühmten Schriftstellers Rupertus Höfer. Durch Zufall ist Westermann auf dessen Trauerfeier geraten und fühlt sich von dem altmodischen Gerät magisch angezogen. Der Kontrast zu seiner aktuellen Produktentwicklung, eine ausspähsichere Krypto-Box, könnte größer nicht sein.
Da der Erbe und Besitzer der Olympia sich partout nicht von ihr trennen will, sucht sich Westermann einen Ersatz und findet bei einem Händler das Exemplar Gabriele, Jahrgang 58. Vor dem Kauf inspiziert er das Gerät bis in den letzten Winkel und testet jedes Detail, als ob er einen Neuwagen Probe fahren würde. Man fragt sich, warum er so besessen davon ist, eine muffig riechende Schreibmaschine zu ergattern. Will er die Reaktion seiner Kollegen testen? Ein besonderes Statement setzen? Oder leidet er einfach unter einer Midlife Crisis?
Auch seine Mutter Yolanda zeigt wenig Verständnis, zumal sie gerade genau den umgekehrten Weg geht. Im Senioren-Internet-Café hat sie Blut geleckt, schafft sich einen PC an und nervt seinen Sohn mit „i-Mehls“ und „Tracebook“. Dieser reagiert höchst alarmiert, weiß er doch, welche Gefahren im Netz lauern, wenn man unbedarft seine Daten preisgibt. Diese Erfahrung muss auch der Erbe Rupert Höfers machen, der vergeblich versucht, die digitalen Spuren seines Vaters zu löschen. Dieser mag tot sein, doch sein Profil lebt im Netz auf makabre Weise weiter.
Mit bissigem Humor, Situationskomik und witzigen Wortschöpfungen, aber auch tiefgründig nimmt Katharina Münk die moderne Arbeitswelt aufs Korn und beleuchtet die Digitalisierung aus der Sicht verschiedener Generationen: aus der Sicht Westermanns, der des Datenhypes überdrüssig ist und sich in der analogen Welt wieder erden kann, seiner Mutter, die endlich in der digitalen Welt mitmischen und dazugehören möchte oder seines Sohnes, für den der Sound der Schreibmaschine so außergewöhnlich klingt, dass er ihn in sein Online-Archiv verschwundener Töne aufnimmt. Klack klack, pling, pling … Diese Geräusche wecken ebenso nostalgische Gefühle wie auch diese charmante Story.