Feministisches Historiendrama

Die Netflix-Serie „Alias Grace“ beruht auf einem Roman von Margaret Atwood, der 1996 erschien. Für mich Grund genug, in die Mini-Serie reinzuschauen. Die Geschichte basiert zudem auf einer wahren Begebenheit: Im Jahre 1843 wurde die damals fünfzehnjährige Grace Marks beschuldigt, ihren Dienstherrn und dessen Haushälterin ermordet zu haben, und zu lebenslanger Haft verurteilt.
Üblicherweise erscheint in solchen Stories ein mutiger, entschlossener Anwalt auf der Bildfläche, der alle Hebel in Bewegung setzt, um seiner Mandantin Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Diesmal liegt der Fall etwas anders. Es gibt durchaus ein Bürgerkomitee, das sich für ihre Begnadigung einsetzt. Allerdings wird kein Anwalt, sondern der Nervenarzt Dr. Simon Jordan zu Rate gezogen, um ein Gutachten zu ihrem Gunsten zu erstellen. So trifft sich Dr. Jordan regelmäßig mit Grace im Haus des Gouverneurs, um in ihre Erinnerungen einzutauchen und sich die Geschichte aus ihrer Perspektive anzuhören.
Die Verurteilte holt weit aus, berichtet von ihrer Kindheit in Irland, der Überfahrt nach Kanada und das Verhältnis zu ihrem Vater, das durch Gewalt geprägt war. Es dauert nicht lang, bis der Arzt regelrecht süchtig danach wird, die Fortsetzung ihrer Lebensgeschichte zu hören. Man merkt, dass sein Interesse schon längt nicht mehr rein beruflicher Natur ist, was man ihm angesichts Grace’ Schönheit und Ausstrahlung nicht verübeln kann. Auch als Zuschauer ist man von dieser Frau mit ihrem durchdringenden Blick, die in aller Ruhe erzählt und erzählt, sich mit gleicher Konzentration ihrer Näharbeit widmet, und nur ganz selten ihre Fassung verliert, fasziniert.
Ihre düsteren Berichte stehen oft im starken Kontrast zu den hellen, warmen und opulenten Bildern von viktorianischen Villen und blühenden Gärten. Bis zum Schluss bleiben Zweifel, ob sie die Wahrheit erzählt oder etwas verschweigt. Nur so viel ist sicher: Grace, gespielt von der großartigen Schauspielerin Sarah Gadon, verkörpert eine typische Frau jener Zeit, die den Launen und der Willkür der männlichen Gesellschaft ausgeliefert ist und eine angestaute Wut in sich trägt, die eines Tages durchaus zum Ausbruch kommen könnte.