Starker Justizthriller

Gibt es nicht schon genug TV-Serien über Polizeigewalt, Drogenhandel und Rassismus? Man könnte meinen ja. Trotzdem lasse ich mich gern von einer Story überraschen, die vom Standard auf interessante Weise abweicht wie die Netflix-Serie „Seven Seconds“. Der weiße Polizist Pete Jablonski fährt im Liberty State Park in Jersey City mit seinem SUV einen jungen Radfahrer an und verletzt ihn schwer. Sein Boss befielt ihm, die Spuren zu beseitigen und den Unfall zu vertuschen. Zu groß sei das Risiko, den Ruf der Polizei zu schädigen, da es sich um einen 15-jährigen Afroamerikaner handelt.
Während die verzweifelten Eltern im Krankenhaus darauf warten, dass ihr Sohn Brenton aus dem Koma erwacht, übernehmen die junge schwarze Staatsanwältin KJ Harper und der Polizist Joe „Fish“ Rinaldi den Fall. Die ersten Folgen sind etwas zäh, weil sie ständig die leidenden Eltern zeigen und die Ermittlungen nicht so recht vorankommen. Doch als die Ermittler eine mögliche Zeugin aufspüren und immer mehr Ungereimtheiten aufdecken, gewinnt der Fall immer mehr an Fahrt.
Interessant ist, dass sich erst im Laufe der Geschichte nach und nach ein Bild des verstorbenen Jungen formt. Da gibt es Figuren wie den Vater, der seinen eigenen Sohn nicht richtig kannte. Zu sehr war er damit beschäftigt, seine Familie durch Doppelschichten materiell zu versorgen. Seine Mutter will nicht wahrhaben, dass er in einer Gang mit Drogen gedealt hat, doch so manche Hinweise sprechen dafür.
Die Serie hat mich wohl deshalb so in den Bann gezogen, weil mir die Figuren und ihre tragischen Schicksale nahe gingen. Ganz gleich ob der junge Cop, der seinem Arbeitsethos treu bleiben und den Drogenhandel bekämpfen will, Brentons Vater, der der Familie den sozialen Aufstieg ermöglichen will, oder sein Bruder, der als Soldat gedient hat und vergeblich versucht, sich in die Gesellschaft einzugliedern – sie alle sind bemüht, das Richtige zu tun und scheitern dennoch durch das gesellschaftliche Umfeld. Die Serie besticht nicht nur durch ihre Figuren und den komplexen Fall, sondern auch durch ihre Realitätsnähe.