Die Nachtwächterin und der Wolf

Architektin, Journalistin, Anwältin… Das sind die typischen Berufe, in denen Romanheldinnen gerne glänzen, aber Nachtwächterin? Diese doch eher ungewöhnliche Tätigkeit hat sich die Ich-Erzählerin des Romans „Hier ist noch alles möglich“ von Gianna Molinari ausgesucht, und das auch noch in einer Verpackungsfabrik, die kurz vor der Schließung steht.
Langweilig wird es ihr immerhin nicht, denn ein Wolf wurde auf dem Fabriksgelände gesichtet. So drehen sich die Gespräche unter der verbliebenen Belegschaft nur noch um diese latente Bedrohung und wie man sich durch Zäune und Fallgruben vor dem Tier schützen kann. Das meiste in dieser Geschichte passiert jedoch in der Fantasie der Nachtwächterin. Wann und wo wird der Wolf auftauchen? Wird er allein kommen oder im Rudel?
Als sie eines Tages von einem Vorfall erfährt, bei dem ein Mann von einem Flugzeug abstürzte, lässt sie diese Geschichte nicht mehr los. Sie kann es nicht fassen, dass man seine Identität nicht feststellen konnte, als hätte er auf dieser Welt gar nicht existiert. Ähnlich wie beim Wolf geht es auch hier wieder um die Frage der Existenz, der Identität und die Bedeutung des Einzelnen im Universum.
Der Anfang des Romans klang für mich sehr vielversprechend. Auch die kurze und prägnante Sprache der Schweizer Autorin hat etwas Faszinierendes, doch als der Mann, der vom Himmel fiel, den Großteil der Geschichte einnahm, verlor ich allmählich das Interesse. Die Botschaft, die ich mitgenommen habe, ist, dass Menschen, Fabriken und Arbeitsplätze jederzeit verschwinden können und es nicht möglich ist, sich vor Veränderungen oder Bedrohungen zu schützen. Dort, wo Dinge verschwinden, ist dafür Platz, Neues zu erschaffen und „noch alles möglich“.